Die handelnden Personen, die die Handlung in einer Geschichte erleben und vorantreiben bezeichnet man als Charaktere oder auch Figuren, um sie von „Menschen“ oder „Personen“ als fiktive Schöpfungen abzugrenzen.
Der Umgang mit den Figuren einer Geschichte kann sehr unterschiedlich sein, in manch einer Geschichte sind sie lediglich „Aktanten“, deren Zweck es ist die Handlung zu tragen und so handeln, wie der Autor sie innerhalb der Erzählung handeln lassen will. Man kann jedoch auch den Fokus sehr stark auf vor allem komplexe Charaktere richten und den Verlauf der Handlung stark von der Entwicklung der Charaktere abhängig machen, was häufig deutlich schwieriger ist, aber auch seinen Reiz hat.
Hauptcharaktere und Nebencharaktere
Den Figuren einer Erzählung werden meist verschiedene Rollen zugewiesen, wie zum Beispiel die Einteilung in Haupt– und Nebencharaktere. Häufig gibt es auch einen oder mehrere Antagonisten in einer Erzählung, die der Hauptfigur, dem Protagonisten als Gegenspieler gegenübersteht. Nebenfiguren können ebenfalls extrem ausdetailliert sein, aber auch, je nach Wichtigkeitsgrad für die Gesamthandlung lediglich als „Passant 1“ auftreten.
Figuren können sehr unterschiedlich konzipiert sein, statisch oder dynamisch, einfach oder komplex, was häufig ein wenig miteinander zusammenspielt: Komplexe Charaktere sind oftmals dynamisch und entwickeln sich im Laufe der Erzählung, während statische Charaktere, mit einer nur kleinen Anzahl von Wesenszügen, oft statisch bleiben und einfach „ihre Rolle in der Geschichte“ beibehalten.
Einfache Charaktere folgen zudem häufig auch vorgefertigten, fast klischeehaften Typen von Figuren, „der Auserwählte“, „der Meisterdetektiv“ usw. Dennoch kann sich der Leser gerade deswegen besser mit ihnen identifizieren als mit komplex konstruierten Figuren. Diese wiederum bieten dafür mehr Potential für eine glaubwürdige und vielschichtige Erzählung.
An dieser Stelle kann ich ruhig meine Liebe für komplexe, eher mit vielen Schwächen behaftete Figuren offenbaren. Ich finde Charaktere, denen nicht sofort alles in den Schoß fällt und die eher Antihelden als Helden darstellen viel interessanter und besser geeignet, um sie sich in der Geschichte entwickeln zu lassen und außerdem, wenn wir einmal ganz ehrlich sind, näher an der Wirklichkeit. Aber natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, wie er seine Figuren strickt.
Charakterdarstellung im Comic
Im Comic herrscht, wie wir schon gelernt haben, großer Platzmangel und längst nicht die Möglichkeit, wie in Romanen, lange Charakterisierungen unterzubringen. Daher müssen die Informationen über die jeweiligen Figuren, bis auf wenige Ausnahmen, anders dem Leser übermittelt werden. Optische Merkmale braucht man wiederum gar nicht groß zu beschreiben wie in rein textlichen Erzählformen, da man diese ja bildlich darstellt.
Wie die Informationen der Figuren dem Leser mitgeteilt werden, kann entweder auktorial oder figural erfolgen, also entweder durch den Erzähler oder durch die handelnden Figuren in der Erzählung. Darüber hinaus können Figuren explizit oder implizit charakterisiert werden, ersteres durch Selbst- oder Fremdbeschreibungen, letzteres durch verschiedene Merkmale, die Namensgebung, das Aussehen usw. Im Comic kann und soll man also sehr viel über die Figuren erfahren, indem sie oder andere es sagen und nicht (nur) über die Erzählinstanz.
Optische Merkmale zuordnen
Anders als in reinen Textmedien, ist es in Comics nicht damit getan eine Charakterbeschreibung einmal am Anfang unterzubringen und damit gut, sondern die jeweiligen Charaktere sind oft zu sehen, in unterschiedlichen Gemütslagen und aus unterschiedlichen Kameraperspektiven. Deswegen macht es Sinn, neben der textlichen Beschreibung der Figuren, diese auch zu zeichnen und immer wieder zu üben, bis man das Gefühl hat sie „getroffen“ zu haben und ihre gesamte Gestik und Mimik gut zu beherrschen.
Um den Wiedererkennungswert, besonders den der oder des Protagonisten für den Leser zu erhöhen, ist es außerdem nützlich den Figuren gewisse optische Erkennungszeichen zu geben. Das kann vieles sein und richtet sich auch immer ein wenig nach dem jeweiligen Zeichenstil. Eine markante Gesichtsform? Eine besondere Frisur? Muttermale? Tattoos, Narben? Ein Lieblingskleidungsstück oder Accessoire? Macht euch Gedanken über das, was eure Figur darstellen soll. Alter? Religion? Abstammung? Geschlechtsidentität? Soziale Rolle? Beruf? Vieles davon kann das äußere Aussehen beeinflussen, auch wenn hier natürlich durchaus ein gewisser Freiraum besteht.
Sowohl für den Zeichner, der während des Comics immer wieder die Charaktere aufs Neue zeichnen muss, als auch für den Leser lassen sich so die Figuren besser zuordnen, wenn sie gut voneinander zu unterscheiden sind und nicht „alle gleich aussehen“.
Ein Hinweis noch: Häufig kann sich ein Leser schneller und einfacher mit „schönen“ Charakteren identifizieren und fiebert eher mit ihnen mit. Dies soll jedoch niemand davon abhalten ungewöhnliche oder „hässliche“ Charaktere zu schaffen, auch die können gerade interessant sein. ;-)
Hintergrundgeschichte und die Auswirkungen
Um die eigenen Figuren nicht wie Schauspieler auf einer Theaterbühne erscheinen zu lassen, ist es sinnvoll sich zumindest für die Hauptcharaktere ausführlich eine Hintergrundstory zu überlegen. Eure Charaktere hatten auch ein Leben vor dem Einsetzen der Handlung und um sie möglichst lebensecht darstellen zu können, macht es Sinn, dass ihre Charaktereigenschaften und Vergangenheitserlebnisse einigermaßen schlüssig miteinander interagieren. Denn wir alle kommen nicht mit einem Satz Eigenschaften auf die Welt, sondern ändern unser Verhalten und unseren Charakter häufig aufgrund den Umwelteinflüssen um uns herum.
Es gibt eine gefühlte Milliarde an Möglichkeiten für Hintergrundstories, mit denen ihr euren Figuren Tiefe verleihen könnt. Wie hat die Figur ihre Kindheit verbracht? Wie sind die Beziehungen zu Familie/Freunden? Hatte sie ein oder mehrere Erlebnisse, die sie noch immer beschäftigen? Was für eine Art von Ausbildung/berufliche Karriere hatte oder hat sie? Welche Personen waren oder sind für die Figur von Bedeutung und warum? Welche Charaktereigenschaften sind eventuell begründet durch vergangene Ereignisse und wieso?
Auch wenn die Hintergrundgeschichte einer Figur häufig nicht in aller Ausführlichkeit in den finalen Comic mit aufgenommen wird, hilft sie doch häufig ein Gefühl für die richtige (glaubwürdige) Charakterdarstellung aufzubauen.
Motive der Charaktere
Handlungsmotive, wie handeln die Charaktere? Warum handeln sie so? Ist aus dem Comic und der Handlung die Motivation der Charaktere erkennbar? Ergibt sich die Motivation aus den Geschehnissen oder ihrer zurückliegenden Geschichte (wenn letzteres, wird dies erklärt)?
Beim Thema „Hintergrundstory“ sind wir auch schon ein wenig bei den Motiven der Charaktere, die für eure Erzählung insgesamt eine sehr große Rolle spielen, denn die Figuren tragen die Handlung und führen sie weiter. Daher macht es Sinn euch auch Gedanken über die Handlungen der Figuren und ihre Motive zu machen.
Wie handeln eure Figuren? Warum handeln sie so? Ist aus der Handlung ersichtlich, warum die Charaktere so handeln? Oder ergibt sich die Motivation der Figuren aus ihrer Vergangenheit vor der Handlung, falls ja, wird dies in der Erzählung in Form von Rückblenden oder anders erklärt?
Klingt simpel, aber besonders bei einer großen Anzahl an Figuren kann man schon mal den Überblick über ihre jeweiligen Handlungen und Motivationen verlieren. Es ist also gut diese Fragen nicht aus den Augen zu verlieren. Auch eine Art Beziehungsgeflecht, die Beziehungen der Figuren zueinander und ihre jeweiligen Motivationen und Handlungsabsichten (kurz umrissen), zu erstellen, kann sich als hilfreich erweisen.
Im Charakter bleiben:
Zu diesem Thema ein Hinweis, der zu beachten ist: Es kann schnell passieren, dass die Figuren lediglich so handeln wie es der Autor will und somit auf unerklärliche Weise heftige Sprünge in ihren Wesenszügen durchführen. Ein eigentlich schüchterner Charakter ist plötzlich badass like hell, ohne, dass ein Grund für diese starke Persönlichkeitswendung ersichtlich ist.
Natürlich können besondere Ereignisse dafür sorgen, dass ein Charakter eine Entwicklung durchmacht. Aber dann sollte diese:
1. Begründet und nachvollziehbar für den Leser sein
2. Trotzdem schrittweise erfolgen und den Charakter nicht von jetzt auf gleich zu etwas völlig anderem machen
Vergesst nicht, zwar bestimmt ihr das Handeln eurer Figuren, aber behaltet für eine kluge Erzählung im Kopf, dass eure Figuren gewisse Wesenszüge haben und es komisch wirkt, wenn sie etwas für sie unpassendes tun, besonders ohne Grund oder noch schlimmer „weil der Autor es so haben will“. Auch muss der Wertekanon des Autors nicht für die erzählten Figuren gelten. Ein Beispiel: Ihr seid selbst gegen Sex vor der Ehe? Sind deswegen auch eure Figuren automatisch dagegen oder gestattet ihr ihnen dahingehend eine eigene Einstellung?
Weibliche Charaktere und der Bechdel-Test
Zum Schluss noch etwas interessantes zum Thema weibliche Charaktere: Selbst Hollywoodblockbuster, aber durchaus auch gewisse Comicgenres, haben häufig ein Problem mit der Darstellung weiblicher Charaktere. Oft sind sie allzu klischeemäßig designt oder eher Accessoires als wirklich Teile der handelnden Figurenwelt einer Erzählung. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, wie oft Frauen vorkommen oder wie wichtig ihre Rollen sind, sondern auch die Art und Weise ihrer Darstellung.
Zu diesem Thema gibt es einen einfachen Test, den ihr ruhig während eurer Erzählung mehrmals daran durchführen dürft, wenn ihr Wert darauf legt auch weibliche Charaktere nicht wie Marionetten agieren zu lassen: Den „Bechdel-Test“. Dieser Test gilt als bestanden, wenn die folgenden drei Fragen mit Ja beantwortet werden können.
- Gibt es zumindest zwei weibliche Charaktere?
- Führen die beiden weiblichen Charaktere eine Unterhaltung?
- Unterhalten sie sich über etwas anderes als über einen Mann?
Das ist schon der ganze Test. Verblüffend, wie viele Werke diesen Test nicht bestehen. Auch bei der Wahl der Hintergrundgeschichten für Frauen darf durchaus etwas facettenreicher und origineller gedacht werden, besonders häufig verwendet werden die Themen Beziehung (Liebe, Trennung, Scheidung) und Kind (auch Kinderwunsch, Fehlgeburt etc.) in der Hintergrundstory von weiblichen Figuren. Sicherlich auch zwei wichtige Themen für Menschen an sich, dennoch wird hier häufig die klassische, traditionelle Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter für den Aufbau ihres Hintergrundes verwendet, während bei Männern auch noch viele andere Erlebnisse und Motive eine Rolle spielen, Ehrgeiz, Wut, Rache, (berufliche) Konkurrenz usw.
Zu diesem Thema gibt es mittlerweile auch noch weitere Tests, wie den „Mako-Mori-Test“ zum Testen, ob die weibliche Hintergrundgeschichte nicht bloß die Hintergrundgeschichte des Mannes/der Männer unterstützen soll, sondern eigenständig ist oder sogar Tests wie den „Sexy-Lampen-Test“, ob der weibliche Charakter nicht einfach durch eine attraktive Lampe ersetzt werden kann, ohne dass die Story zerstört wird.
Es gibt natürlich rühmliche Ausnahmen. Auf jeden Fall. Seid interessant, seid so eine Ausnahme und behaltet dieses Thema immer im Hinterkopf!
Jeder gibt sich unterschiedlich viel Mühe beim Charakterdesign, manch einer erstellt für jeden einzelnen lange Steckbriefe und Hintergrundstorys, ehe er das Zeichnen beginnt, ein anderer hat seine Figuren so weit im Kopf, dass er gleich ans Zeichnen geht. Es bleibt jedem selbst überlassen. In jeden Fall lohnt es sich aber den Schritt „Figuren der Erzählung designen“ nicht zu vernachlässigen.